Studiosus: Menschenrechte im Tourismus

Case Study
Titel
Studiosus: Menschenrechte im Tourismus
Unternehmen & Organisation
Kategorie
Unternehmen
Themenbereich
Social
Anvisierte SDGs
8, 12, 17
Jahr
2022
Tourismus ist weltweit einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Während der Corona-Pandemie lag die Branche brach. Jetzt, wo sie sich erholt, besteht die Gefahr, dass weniger auf Arbeits- und Menschenrechte geachtet wird. Der Reiseveranstalter Studiosus zeigt, wie Standards in kooperativen Ansätzen verbessert werden können.

Ausgangssituation

Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) schätzt die Zahl der Touristen jährlich auf 1,4 Milliarden. Der Reise- und Tourismussektor erwirtschaftete in 2021 etwa 5,8 Bio. US-Dollar und beschäftigte rund 289 Millionen Menschen weltweit. Das sind etwa 40 Mio. Menschen weniger als in der Zeit vor der Covid-Pandemie. Vor allem für zahlreiche Länder im globalen Süden ist die Tourismusbranche ein existenzieller Wirtschaftszweig: Im Jahr 2019 erfasste das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mehr als 11 Millionen Menschen, die jährlich allein aus Deutschland in ein Entwicklungs- oder Schwellenland reisen, wo sie 19 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.

In der jetzt einsetzenden Erholungsphase zeichnen sich einige Entwicklungen ab, die auch Einfluss auf die Arbeits- und Menschenrechte in Reiseländern haben:

Während der Pandemie hatten vom Tourismus abhängige lokale Unternehmen erhebliche Einkommensausfälle. Jetzt besteht die Gefahr, dass

  • sie ihre Standards senken und Menschen für weniger Geld bzw. schlechtere Bedingungen arbeiten müssen, um überhaupt wieder Einnahmen zu erzielen.
  • In der Pandemie wurden laut Schätzungen des BMZ zudem über 60 Mio. Arbeitsplätze in der Tourismusbranche weltweit abgebaut und sind in andere Sektoren abgewandert. Die Aufschwungphase muss mit weniger Personal und dadurch größerer Belastung bewältigt werden.
  • Weil einige Regionen immer noch Reisebeschränkungen und Restriktionen unterliegen, werden neue Destinationen erschlossen, die jedoch oft auch neue menschenrechtliche Herausforderungen mit sich bringen (wie etwa Saudi-Arabien).

Die Tourismusbranche hat dabei einige Besonderheiten: So operieren Reiseveranstalter vor Ort über lokale Agenturen, die wiederum Verträge mit weiteren Dienstleistern (wie zum Beispiel Transportunternehmen oder Hotels) abschließen. Aufgrund der Kleinteiligkeit der touristischen Lieferkette und einem hohen Anteil informeller Leistungen in einer Reise sind für viele Reiseveranstalter menschenrechtliche Aspekte eine Blackbox: Welche Sub-Dienstleister sind eingebunden? Werden dort grundlegende Arbeitsstandards eingehalten? Was bedeutet das für die eigene Risikobewertung? Das Beispiel von Studiosus zeigt, wie Reiseveranstalter gemeinsam mit Partnern diesen Herausforderungen begegnen können.

Zielsetzung und Umsetzungsansatz

Studiosus Reisen bietet Studienreisen rund um den Globus an. Mit 325 Mitarbeitenden werden jährlich rund 100.000 Gäste betreut. Dabei wird insbesondere auf die Vermittlung der jeweiligen Kultur und die Begegnung mit Land und Leuten Wert gelegt. Das Thema Nachhaltigkeit hat im Unternehmen eine lange Historie: So ließ Studiosus bereits 1998, als erster europäischer Reiseveranstalter, sein Umweltmanagement nach EMAS validieren und war 2012 eines der Gründungsmitglieder des „Roundtable Human Rights in Tourism", einer Brancheninitiative, die sich für die Umsetzung der UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Tourismussektor einsetzt.

Ziel von Studiosus ist es, in der Post-Covid-Phase die Arbeitsbedingungen mindestens so gut zu gestalten wie vor der Pandemie. Denn der Tourismus lebt von den Menschen, die im Tourismus arbeiten. Um besser zu verstehen, wo es im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten zu menschenrechtlichen Risiken kommen könnte, setzt Studiosus Reisen auf einen Mix an Maßnahmen: Dazu zählt ein jährliches Monitoring in Form einer Selbstauskunft der lokalen Geschäftspartner sowie vor-Ort-Besuche und persönliche Inspektionen durch Studiosus-Mitarbeitende, wenngleich letztere aufgrund der Covid-Einschränkungen und dem Wunsch nach mehr Klimaschutz rückläufig sind. In unklaren Fällen werden deshalb auch die Studiosus-Reiseleiter*innen, die vor Ort sind, einbezogen. Sie können sich ein konkretes Bild der Situation vor Ort machen, z.B. bei Kritik an Arbeitsbedingungen in einem Hotel, und Studiosus umgehend darüber informieren. Eine wichtige Informationsquelle sind nicht zuletzt auch die Gäste selbst: Deshalb fließen auch Kundenrückmeldungen in die Risikobewertung mit ein. Diese haben sich für Studiosus als besonders hilfreich erwiesen, da Rundreise-Teilnehmende meist sehr auskunftsfreudig sind und Eindrücke aus erster Hand schildern können.

Die Informationen aus all diesen Quellen werden aufbereitet und nach Risikofeldern kategorisiert. Eine problematische Menschenrechtssituation vor Ort entbindet die lokalen Geschäftspartner nicht von ihrer eigenen Sorgfaltspflicht. Deshalb achtet Studiosus bereits bei der Auswahl der Geschäftspartner auf Nachhaltigkeit und legt in Verträgen genau fest, welche Standards sie einzuhalten haben. Die Festlegung weiterer Maßnahmen zum Risikomanagement erfolgt in Gremien, die neben relevanten Abteilungen des Unternehmens auch regelmäßig Reisebüros, Kund*innen, Reiseleiter*innen und weitere für Studiosus relevante Stakeholdergruppen einbeziehen.

Ein konkretes Beispiel für einen auf diese Weise erarbeiteten Ansatz sind Studiosus‘ Vorgaben für das Fahrpersonal. Diese orientieren sich an europäischen Richtlinien für Busfahrer*innen und andere Fahrdienstleister. Da es immer wieder zu Unfällen kommt – wegen Übermüdung, nicht eingehaltenen Ruhezeiten oder fehlender Schulungen –, war diese Maßnahme sowohl aus Sicherheitsaspekten als auch aus arbeitsrechtlichen Beweggründen wichtig. Studiosus entwickelte die Standards und Verträge und stellte diese 2015 gemeinsam mit dem Roundtable Human Rights in Tourism in einem „Leitfaden für Personal im Tourismus“ für andere Reiseveranstalter zur Verfügung.

Bezogen auf spezifische Länder oder Herausforderungen können zudem „Human Rights Impact Assessment (HRIA)“ (also umfassende Analysen einschließlich der Einbindung lokaler Akteure und Zivilgesellschaft vor Ort) helfen, die Herausforderungen und Lösungsansätze besser zu verstehen. Studiosus hat gemeinsam mit dem Roundtable solche HRIAs für Thailand und Myanmar durchgeführt. Im Rahmen des Assessments in Myanmar wurden beispielsweise in Workshops mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen Empfehlungen für Reiseveranstalter besprochen und Ideen für weitere Umsetzungsmaßnahmen diskutiert. Mit dem Militärputsch im Jahr 2021 hat sich die Situation im Land noch einmal dramatisch verschlechtert. Als Studiosus mehrfach Hinweise erhielt, dass Menschenrechte in einem Hotel in Myanmar missachtet wurden, und sich keine Verbesserung einstellte, entschloss sich das Unternehmen zum Abbruch der Geschäftsbeziehung. Aufgrund der Reisewarnung für Myanmar führt das Unternehmen derzeit keine Reisen in diesem Land durch. Der Roundtable ist dennoch weiter in Kontakt mit den Organisationen vor Ort, zu denen im Rahmen des HRIA Beziehungen aufgebaut wurden.

In Thailand wiederum hat der Roundtable mit der „Pacific Asia Tourism Association“ aufbauend auf dem dortigen HRIA ein Folgeprojekt umgesetzt, welches die neuen Gegebenheiten und Herausforderungen der Pandemie berücksichtigt. Risiken schlechter Arbeitsbedingungen herrschen demnach insbesondere in Bereichen informeller Beschäftigung, mit denen der Tourismus z.B. über Lieferketten in Verbindung steht. Dazu zählt die Landwirtschaft, das Transportwesen oder die Souvenirproduktion. Im Rahmen des Folgeprojektes wurden deshalb unter anderem Trainings für informelle Arbeitende im Tourismus erarbeitet und durchgeführt.

Ergebnisse

Studiosus setzt sich mit zahlreichen Maßnahmen für die Einhaltung von Menschenrechten im Zusammenhang mit seinem Reiseangebot ein und achtet bei der Auswahl seiner Geschäftspartner auf soziale Aspekte. Gleichzeitig baut das Unternehmen auf gemeinschaftliche Ansätze, um - zusammen mit anderen - größeren Einfluss und Wirkung erzielen zu können.

Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel Landrechte: Die Tourismusentwicklung kollidiert vielerorts mit den Menschenrechten lokaler Gemeinschaften. So ist beispielsweise in Sri Lanka Enteignung zu touristischen Zwecken legal. Privatstrände schränken häufig den Zugang zum Meer für die lokale Bevölkerung oder Fischer*innen ein, die dann ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können. Die Vergabe entsprechender Lizenzen ist oft hochpolitisch und mit Korruption vor Ort verbunden. Während die Handlungsmöglichkeiten für individuelle Reiseveranstalter begrenzt sind, können im Verbund mit anderen und insbesondere auch mit lokalen NGOs durchaus Dinge bewegt werden. In Sri Lanka etwa bewirkte ein „Runder Tisch“, zu dem Studiosus im Rahmen seiner Dialogforen zwei Jahre in Folge einlud, eine Verbesserung der Komunikation innerhalb verschiedener Stakeholderguppen vor Ort und ein erhöhtes Bewusstsein bei der Wahrnehmung von Landrechten.

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