Klima vor Gericht – Inhalte und Rückblick des DGCN Webinars „Ein Recht auf Zukunft – Was bedeuten Klimaurteile für unternehmerische Nachhaltigkeit?“

Klimaschutz ist ein Grundrecht und es gibt ein Recht auf Zukunft. Das stellte das Bundesverfassungsgericht vergangenen Frühling in einem wegweisenden Urteil klar. Seitdem mehren sich Klimaklagen – auch gegen Unternehmen. Im DGCN fand dazu das Webinar „Ein Recht auf Zukunft – Was bedeuten Klimaurteile für unternehmerische Nachhaltigkeit?“ statt.

Die wenigsten hatten mit diesem Urteil gerechnet. Im März 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Klimapolitik der Bundesregierung für teilweise verfassungswidrig. Begründung: Die heutige Generation greife in die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen ein, indem sie sich selbst zu viele Treibhausgas-Emissionen erlaube und es zugleich den Jüngeren aufbürde, später deutlich mehr Kohlendioxid einsparen zu müssen, um das Pariser Abkommen einzuhalten. Zum ersten Mal gab damit das höchste deutsche Gericht einer Klimaklage statt. Von einem „Paukenschlag“ und einem „historischen Urteil“ war später in den Medien die Rede.

Tatsächlich könnte die Entscheidung wegweisend sein. Denn das Gericht stellte klar: Klimaschutz ist ein Grundrecht. Eines, das sich einklagen lässt und das für zukünftige Generationen ebenso gilt wie für derzeitige.

Das betrifft nicht nur Staaten, sondern auch Unternehmen.

Denn es war nur wenige Wochen später, als ein weiteres Urteil international für Aufsehen sorgte: Das Bezirksgericht im niederländischen Den Haag verurteilte den Shell-Konzern in erster Instanz, seinen Ausstoß von CO2 bis 2030 um fast die Hälfte zu reduzieren und gemäß der Sorgfaltspflicht seine klimaschädlichen Emissionen zu senken. Diese Pflicht leitete das Gericht aus der Europäischen Menschenrechtskommission, dem UN-Zivilpakt und den UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschrechte ab. Zum ersten Mal wiesen damit Richter:innen einen privaten Konzern an, weniger Kohlendioxid auszustoßen.

Gut möglich, dass die Urteile aus Berlin und Den Haag erst der Anfang sind. Beobachter gehen davon aus, dass sie andere Gerichte dazu ermutigen könnten, ähnlich zu entscheiden. Eine „Ära der Klimaschutz-Urteile“ prophezeit etwa die Süddeutsche Zeitung. Zwar hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts neue Aufmerksamkeit gebracht, doch neu sind Klimaklagen nicht. Als Wegbereiter gilt der „Urgenda“-Fall. Die gleichnamige Umweltstiftung erstritt schon 2015, dass der niederländische Staat seine Emissionen bis 2030 um 25 Prozent gegenüber 1990 senken muss. Die Regierung hatte eine Senkung um nur 17 Prozent vorgesehen.

Die Bedeutung der Klimaurteile für unternehmerische Nachhaltigkeit

Was die Klimaurteile für Unternehmen bedeuten, darum ging es in unserem Webinar „Ein Recht auf Zukunft – Was bedeuten Klimaurteile für unternehmerische Nachhaltigkeit?“ aus der Dialogserie #weitergedacht des DGCN. Als Referent:innen waren Prof. Dr. Remo Klinger (Geulen & Klinger Rechtsanwälte), Lana Ollier (ECOFACT) und Dr. Anita Schieffer (Siemens Energy) zu Gast.

„Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Vorhang für ein komplett neues Rechtsfeld gehoben“, sagte Remo Klinger. Er ist einer der bekanntesten Umweltanwälte. Das Urteil ist zu großen Teilen auch sein Erfolg. Das Grundrecht auf Klimaschutz muss nicht nur der Staat achten, betonte Klinger, auch Unternehmen müssten sich daranhalten. Manche von ihnen stießen mehr CO2 aus als Staaten wie Belgien oder Dänemark. „Alle Unternehmen, die ihre Produktentwicklung nicht auf Klimaneutralität umstellen, werden rechtliche Probleme bekommen“, sagte Klinger.

Lana Ollier von der auf ESG-Regulierung spezialisierte Beratung ECOFACT fasste die Entwicklungen im Finanzsektor zusammen. „Wir sehen für Finanzunternehmen ein zunehmendes Risiko“, erklärte sie. Als Beispiel nannte sie unter anderem eine Klage gegen die australische Commonwealth Bank, die in Kohle investiert und nicht transparent darüber aufgeklärt habe. Zu einem Schadenersatzanspruch sei es im Finanzsektor bisher allerdings nicht gekommen. Ollier berichtete, die Transparenzpflichten für Unternehmen würden immer schärfer, die regulatorischen Anforderungen würden stetig wachsen. „Eine systematische Offenlegung von Klimarisiken minimiert das Risiko von Klagen“, empfahl die Expertin. Sie beobachtet, dass der Druck aus der Finanzwirtschaft auf Unternehmen wächst, ihre Klimarisiken und -chancen offenzulegen, und geht davon aus, dass es für hoch emittierende Sektoren ohne Transitionspläne zunehmend schwieriger werden wird, Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen.  

Einen Einblick in die Unternehmenspraxis gab Anita Schieffer, Group Compliance Officer bei Siemens Energy. Sie betonte, die neuen Regularien erforderten interdisziplinäres Arbeiten, da viele Neuerungen, wie zuletzt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, mehrere Unternehmensbereiche beträfen. Die Compliance-Abteilung habe naturgemäß eine Querschnittfunktion und werde zunehmend zum Sparringspartner der Geschäftsleitung. Sie präge die Unternehmensstrategie mit.

Unternehmen im Fokus

Nicht nur in Deutschland, auch weltweit nimmt die Zahl der Klimaklagen zu. Das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment der London School of Economics sammelt Klimagesetze und -urteile aus aller Welt in einer Datenbank. Autobauer sollen beispielsweise gezwungen werden, ab 2030 keine Fahrzeuge mit klimaschädlichen Verbrennermotoren mehr zu produzieren, Energiekonzerne ab 2026 keine neuen Öl- oder Gasfelder mehr eröffnen dürfen.

Nicht alle Klimaklagen gegen Unternehmen sind erfolgreich. 2013 etwa scheiterte die Klage der in Alaska gelegenen Stadt Kivalina gegen den Mineralölkonzern Exxon Mobil. Kivalina liegt am Meer und ist von Überflutung bedroht. Die Stadt forderte Schadenersatz von Exxon Mobil. Der amerikanische Supreme Court wies die Klage jedoch ab, da die Frage, wie dem Klimawandel am besten begegnet werden solle, eine politische und keine juristische sei.

In einem weiteren, noch nicht entschiedenen Fall geht es ebenfalls um die Mitschuld, die ein Energieriese am Klimawandel trägt: Seit 2015 klagt ein peruanischer Kleinbauer, unterstützt von der Umweltorganisation Germanwatch, gegen ein deutsches Unternehmen. Saúl Luciano Lliuyas macht den Konzern wegen seiner Kohlekraftwerke mitverantwortlich für die Erderwärmung und somit dafür, dass der Gletscher oberhalb seiner Heimatstadt Huaraz in den Anden schmilzt. Der Gletschersee laufe immer voller und es drohe die Überflutung seines Hauses. An den Kosten für die Schutzmaßnahmen solle sich das Unternehmen beteiligen. Das Oberlandesgericht Hamm hielt die Argumentation für schlüssig – und entschied, in die Beweisaufnahme einzusteigen. Für Lliuyas und die Klimaschützer:innen ist das ein erster, großer Erfolg. Denn das Gericht erkannte an, dass ein privates Unternehmen grundsätzlich für Folgen des Klimawandels zur Verantwortung gezogen werden kann. Bei einem Ortstermin in den Anden soll nun als nächstes geklärt werden, ob Lliuyas Haus tatsächlich von einer möglichen Flutwelle des Gletschersees bedroht ist und inwiefern die Emissionen des Unternehmens zum Risiko der Überflutung beitragen. Wegen der Pandemie konnte der Termin bisher nicht stattfinden.

Wie das Gericht entscheiden wird, ist offen. Eines aber ist sicher: Es wird weitere Klagen geben. Unternehmen sollten darauf vorbereitet sein.

Saubere Umwelt als Menschenrecht

Jahrzehntelang haben Umweltaktivist:innen dafür gekämpft, nun ist beschlossen: Der Zugang zu einer gesunden und sauberen Umwelt ist ein Menschenrecht. Alle Menschen haben das Recht auf ein Leben in intakter Umwelt. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen nahm eine entsprechende Resolution im Oktober 2021 mit großer Mehrheit an. Mit dem Beschluss sollen sich in Zukunft strengere Umweltgesetze durchsetzen lassen, er kann auch bei Klimaklagen als Argumentationshilfe dienen. Rechtlich bindend für Staaten ist die Resolution allerdings nicht. David Boyd, UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte und Umwelt, forderte Regierungen weltweit auf, das Recht auf eine saubere Umwelt in nationale Verfassungen zu übernehmen.

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