Chancen und Risiken für Unternehmen, Haltung gegen Verschwörungsmythen, Desinformation, Hass und Hetze zu zeigen

Am 17. November findet die DGCN Teilnehmerkonferenz zum Thema „SDG 16 in der Unternehmenspraxis: Hass, Hetze, Desinformation und Verschwörungsmythen – not my business?" statt. Warum ist das Thema für Unternehmen relevant? Welche Chancen und Risiken ergeben sich für Unternehmen, Haltung gegen Verschwörungsmythen, Desinformation, Hass und Hetze zu zeigen? Wo verlaufen die Grenzen unternehmerischer Verantwortung? Wo beginnt das Primat der Politik?


Eine Frage der Haltung

Viele Unternehmen halten sich lieber zurück, wenn es darum geht, gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen. Doch in Zeiten, in denen Verschwörungstheorien immer populärer werden und Hetze und Hass zunehmen, gerät die Neutralität an ihre Grenzen. Einige Unternehmen machen schon vor, wie es gelingen kann, Haltung zu zeigen.

Als es im Spätsommer 2018 in Chemnitz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, als Bilder von Menschen mit ausgestrecktem Arm nach vorn um die Welt gingen, als das Unternehmen Briefe und Emails erreichten, in denen Kund:innen fragten, ob sie damit rechnen müssten, dass ihre Uhren von solchen Menschen gebaut würden, da wussten Judith Borowski und ihre beiden Geschäftsführer-Kollegen: Wir müssen etwas tun. Schon 2015 hatte das Unternehmen während der großen Fluchtwelle ein Banner an den Firmensitz gehängt: „Wir ticken international.“ Da hatten Rechtsextreme eine Demonstration gegen ein geplantes Asylbewerberheim in Glashütte angekündigt.

Nomos Glashütte – das Unternehmen, dessen Marken- und Designchefin Borowski ist, trägt den Ort des Firmensitzes schon im Namen. Seit 175 Jahren werden in Glashütte, einer Kleinstadt südlich von Dresden, Uhren hergestellt. Doch die hässlichen Bilder aus Chemnitz sorgten – wieder einmal – dafür, dass viele Menschen beim Stichwort Sachsen eher an randalierende Rechte als an Uhrenmanufakturen dachten. „Nachrichten wie die aus Chemnitz 2018 beschädigen das Image Sachsens und damit Glashüttes. Auch der gute Ruf unseres Standorts zählt zu unserer Geschäftsgrundlage. „Politisch Klartext zu sprechen ist daher wichtig für uns“, sagt Borowski. „Das Unternehmen verkauft Uhren in 52 Ländern auf der Welt. Nomos Glashütte will, aber muss auch für Toleranz und Weltoffenheit stehen. Borowski erzählt, dass das Engagement von Nomos Glashütte gerade bei vielen jungen Menschen gut ankomme. „Bewerber:innen wollen wissen, wofür wir als Unternehmen stehen.“

Bei weitem nicht jedes Unternehmen wird so eindeutig dazu herausgefordert, Stellung zu beziehen, wie Nomos Glashütte. Und viele deutsche Unternehmen vermeiden es traditionell auch lieber. Zu groß scheint die Gefahr, sich an heiklen Themen die Finger zu verbrennen, Kund:innen oder Geschäftspartner:innen zu verprellen. Doch in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und immer schärfer geführter Debatten – sei es über Migration, Tempolimits oder Feminismus – stößt der Wunsch nach Neutralität zunehmend an seine Grenzen. Das zeigt auch eine Umfrage des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik (WZGE). Der gemeinnützige Think Tank vermittelt Wirtschafts- und Führungsethik an Unternehmen sowie Organisationen und hat im Zusammenhang mit der Pandemie eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Auf die Frage, in welchem Ausmaß sich Wirtschaftsvertretende an den gesellschaftlichen Debatten in der Corona-Pandemie beteiligen sollten, äußerten immerhin 42 Prozent der Befragten den Wunsch nach mehr Engagement. 34 Prozent sind mit dem bisherigen Engagement zufrieden. Nur 24 Prozent wünschen sich weniger Engagement. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen internationale Untersuchungen. So zeigt das Frühlingsupdate des Edelman Trust Barometer 2021, dass die Mehrheit der Befragten von CEOs erwarten, dass sie sich stärker für politische und vor allem soziale Themen engagieren. Der Druck auf die Unternehmen, Stellung zu beziehen, wächst also.

Einige tun das bereits. So stellt sich zum Beispiel Siemens-Chef Joe Kaeser gegen Rechtspopulismus, er kritisierte rechte Hetze im Parlament. Wer vor dem Bundestag spreche, müsse einen "Grund-Anstand" und einen "Grund-Respekt" mitbringen, erklärte der Konzernchef. Ein weiteres Beispiel ist die Initiative „Made in Germany - Made by Vielfalt“. Der Hausgeräte-Hersteller Vorwerk brachte 50 Familienunternehmen zusammen, darunter zahlreiche UN Global Compact Unterzeichnende wie Henkel, Nolte Möbel und Valliant, die in einer Anzeigenkampagne für ein weltoffenes Deutschland warben. Das Berliner Unternehmen Mutanox sagte aus politischer Überzeugung 2015 sogar einen potenziellen Großauftrag ab: Die Firma weigerte sich, so genannten Natodraht, eine besondere Art von Stacheldraht, für einen Grenzzaun an Ungarn zu verkaufen. Der Draht sei dazu da, kriminelle Taten zu verhindern. Zu fliehen sei aber nicht kriminell, erklärte damals der Unternehmer. Er bekam viel Beifall – aber auch Hassnachrichten.

Beifall und böse Nachrichten – beides kennt Judith Borowski von Nomos Glashütte. Das Unternehmen bietet seinen Mitarbeitenden Workshops des Business Councils for Democracy (BC4D) an, in denen sie mehr über Hassrede, gezielte Desinformation und Verschwörungserzählungen erfahren und lernen, Fake News von echten Nachrichten zu unterscheiden. Das Prinzip: Jede:r darf teilnehmen, keine:r muss. Zu den Pilotunternehmen gehören zum Beispiel auch der Automobilbauer VW, das Entsorgungsunternehmen Alba und der Chemiekonzern Evonik. „Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie muss von der Zivilgesellschaft getragen werden – also auch von den Unternehmen“, sagt Thomas Wessel, Personalvorstand bei Evonik.

Natürlich gehen Unternehmen auch Risiken ein, wenn sie gesellschaftspolitische Positionen formulieren. So können zum Beispiel Konflikte in der Belegschaft entstehen, wenn Mitarbeitende sich dazu gezwungen sehen, ihren eigenen Standpunkt klarzumachen – und der so gar nicht zu dem der Kollegin passt. Und ebenso natürlich kann es passieren, dass sich Geschäftspartner:innen oder Kund:innen abwenden, die gegenteilige Positionen vertreten.

Die Demokratie zu unterhöhlen, das vermag nicht nur offene Hetze. Auch durch Verschwörungsmythen verbreitet sich rechtes und antisemitisches Gedankengut. Kaum eine Erzählung ist zu abwegig, um ihre Anhänger:innen zu finden. Dabei sind die Verschwörungsmythen keine neue Erfindung. Es gibt sie seit Jahrhunderten, vor allem in Zeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Unsicherheit haben sie Konjunktur. Es überrascht also nicht, dass sie in der Pandemie zuletzt an Popularität gewonnen haben. Oft sind die Mythen mit dem Narrativ einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung vermischt.

„Die Erzählungen werden am Stammtisch, in der Yoga-Gruppe oder in der Kantine im Betrieb weitergegeben“, sagt die Autorin Katharina Nocun. Sie hat zwei Bücher über Verschwörungstheorien geschrieben und warnt davor, diese nur als Phänomen des Internets zu verstehen. „Bei ihren Anhänger:innen tritt oft ein sehr starker Bekehrungsdruck auf. Sie denken, eine verborgene Wahrheit entdeckt zu haben, und wollen diese verkünden.“ Dann könne es passieren, dass diese Menschen das, woran sie so fest glauben, zum Beispiel im Firmenchat oder während der Raucherpause verbreiten. Seien es Inhalte von antisemitischen und rechtsextremen Plattformen, müssten Arbeitgeber:innen natürlich eine rote Linie ziehen. Genau wie dann, wenn etwa Coronaleugner:innen sich nicht an Schutzmaßnahmen hielten. „Schweigen wird leider oft als Zustimmung missverstanden“, warnt die Expertin. Sie empfiehlt, so früh wie möglich einzugreifen. Nocun vergleicht das Abgleiten in die Welt der Verschwörungsmythen mit dem Weg in einen Kaninchenbau, in den Menschen sich über Wochen und Monate immer tiefer eingraben: Wer an der Oberfläche ist, lässt sich noch erreichen. „Doch je tiefer sie drinstecken“, sagt Nocun, „desto schwieriger wird es, Menschen zum Umdenken zu bewegen.“

Um Verschwörungsmythen und Hetze geht es bei der DCGN Teilnehmerkonferenz am 17. November: Martin von Brook des Wittenberg-Zentrums spricht zum Thema „Corporate Activism in der Corona-Krise: Haltung oder Zurückhaltung bei Verschwörungsmythen?“ Zur anschließenden Plenumsdiskussion begrüßen wir Katharina Nocun, Autorin; Barbara Constanzo, Vice President Group Social Engagement der Deutschen Telekom; Stefan Haver, Head of Sustainability bei Evonik; und Felix Duffy, Sprecher von LobbyControl.

Hier geht's zum Livestream

Abonnieren Sie unseren Newsletter