Nachbericht zur DGCN Teilnehmerkonferenz am 17. November 2021

Welche Haltung können Unternehmen zu Verschwörungstheorien, Hass und Hetze einnehmen? Um diese Frage ging es bei der Herbstkonferenz des DGCN am 17. November. Unter dem Titel „SDG 16 in der Unternehmenspraxis: Hass, Hetze, Desinformation und Verschwörungsmythen – not my Business?“ nahmen mehr als 200 Personen an dem Event teil, das erneut in hybrider Form stattfand. Ein kleiner Kreis fand in Berlin vor Ort zusammen, die Panelist:innen und Zuschauende waren über den Livestream zugeschaltet.

Zur Aufzeichnung der Konferenz

Neue Strategie des UN Global Compact

Zum Auftakt stellte Marcel Engel, Leiter der DGCN Geschäftsstelle, die neue, Ende vergangenen Jahres veröffentlichte Strategie des UN Global Compact und ihre Auswirkungen auf die Arbeit des DCGN in Deutschland vor. Wichtiger Bestandteil der Strategie sind die lokalen Netzwerke. Sie sind das Bindeglied zwischen globaler und lokaler Ebene und setzen die neue Strategie vor Ort um. Der DGCN Geschäftsstellenleiter erläuterte die fünf wichtigsten Veränderungen, die sich aus der internationalen Strategie ergeben:

  1. Die bisherigen jährlichen Fortschrittsberichte (COPs) der Unterzeichner des UN Global Compact werden ab 2023 durch neue, umfangreiche Fragebögen ersetzt. Anfang 2022 startet eine Pilotphase. Es werden noch Unternehmen gesucht, die teilnehmen möchten.
  2. Die lokalen Netzwerke werden ausgebaut, v.a. im globalen Süden. Ziel: Unternehmen in jedem Land der Welt sollen Zugang zu einem lokalen oder regionalen Netzwerk haben. Vor allem die Region Afrika hat großen Unterstützungsbedarf. Der UN Global Compact hat deshalb auch eine neue Afrika Stratgie ins Leben gerufen. Diese sieht unter anderem vor, dass in der Region vier regionale Hubs und 10 nationale Netzwerke aufgebaut werden.
  3. Die Aktivitäten des UN Global Compact werden stärker auf die Bedürfnisse der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fokussiert. Dazu entwickelt der UN Global Compact eine KMU-Strategie, auf deren Grundlage spezielle Lern- und Dialogformate für diese Zielgruppe erarbeitet werden.
  4. Die Zusammenarbeit mit den UN auf globaler und lokaler Ebene wird verstärkt.
  5. Der UN Global Compact arbeitet stärker wirkungsbasiert in Bezug auf 7 priorisierte Ziele von besonderer Relevanz für Unternehmen. Diese sind mit den Zehn Prinzipien und den damit verbunden SDGs eng verknüpft. Er sieht sich als ideale Plattform, um die verschiedenen Stakeholder (große und kleine Unternehmen sowie lokale Netzwerke) zu mobilisieren. Es wird ein Framework entwickelt, mit dem die Unternehmen über die Umsetzung der Ziele berichten können. Dazu gehören unter anderem die neuen Fortschrittsberichte. Zudem sollen sich Unternehmen mit anderen messen können. Daraus folgte das neue Leistungsangebot des Global Compact mit vielfältigen Lern- und Dialogangeboten.

ZUR UN Global Compact Strategie

Im Folgenden gab das Team des DCGN einen Überblick über die umfassenden Unterstützungsangebote für Unternehmen, stellte die Highlights 2021 vor und gab zudem einen Ausblick auf das kommende Jahr. In Webinaren, Workshops, Peer Learning Groups, Publikationen und auf Konferenzen können Unternehmen sich über die Themen Menschenrechte und Arbeitsnormen, Umwelt und Klima, Korruptionsprävention und die SDGs informieren und werden beim Reporting unterstützt.

Plenumsdiskussion: „Unternehmerische Verantwortung für Demokratie, gegen Verschwörungstheorien, Desinformation, Hass und Hetze“

Einleitende Worte zum Hauptteil der Konferenz sprach Thorsten Pinkepank, Vorsitzender des DGCN Lenkungskreises. Er begrüßte, dass das Thema Nachhaltigkeit im Zentrum der politischen Diskussion und in Unternehmensstrategien angekommen sei. „Die Gesellschaft hat Nachhaltigkeit als Paradigma für die Zukunft entdeckt“, so Pinkepank. Zugleich bedauerte er die zunehmende Polarisierung sowie ein sich verschärfendes Meinungsklima und warf die Frage auf, wie und mit welchem Mandat Unternehmen sich in gesellschaftspolitische Diskussionen einbringen können, welche Erwartungen Kund:innen, Mitarbeiter:innen und Investor:innen hätten. Für Unternehmen sei es schwierig, ihre Rolle in diesen Diskussionen zu finden. 

Eine Einführung in das Thema unternehmerische Verantwortung gab Martin von Broock, Vorstandsvorsitzender des Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik (WZGE), unter dem Titel „Corporate Activism in der Corona-Krise: Haltung oder Zurückhaltung bei Verschwörungsmythen?“. Zu Beginn erklärte er den Begriff des Corporate Activism. Dieser bedeute, dass ein Unternehmen erkennbar Position beziehe in einer polarisierenden Debatte und für gemeinsame Werte eintrete – und zwar auch dann, wenn es nicht unmittelbar um Geschäftsinteressen gehe. Corporate Activism werde immer wichtiger, betonte von Broock, und verwies dabei unter auf das Erstarken rechtsextremer Kräfte in Europa. Zugleich sei er umstritten, viele Unternehmen hielten sich lieber aus der Politik heraus. Zu bedenken sei bei dieser zurückhaltenden Position aber, dass im Unternehmen verbreitete Verschwörungsmythen den Betriebsfrieden gefährden könnten und Unternehmen zudem auf ein stabiles gesellschaftliches Umfeld angewiesen seien. „Wenn radikale Gruppen unsere Grundwerte in Frage stellen, dann stellen sie damit natürlich auch unsere Art des Wirtschaftens in Frage“, sagte von Broock. Er richtete einen klaren Appell an die Wirtschaft: „Unternehmen können nicht NICHT Haltung zeigen.“ Auch Zurückhaltung sei eine Haltung. Jedes Nichteinschreiten gegen Verschwörungsmythen könne als klammheimliche Duldung verstanden werden. „Wer Diskursverantwortung übernimmt, handelt solidarisch und klug“, so von Broock. Zwar dürften Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen keine Gesinnung vorschreiben, das dürfe sie jedoch nicht davon abhalten, sich offen zu Werten wie Solidarität und Demokratie zu bekennen.

In der folgenden, virtuellen Plenumsdiskussion, moderiert von Heino von Meyer, tauschten Unternehmensvertreter:innen und Expert:innen ihre Positionen zum Thema Verschwörungstheorien und unternehmerische Verantwortung aus.

Die Autorin Katharina Nocun, die zwei Bücher zum Thema geschrieben hat, erklärte die Wirkungsmacht von Verschwörungsmythen damit, dass sie an emotionale Grundbedürfnisse anknüpften, etwa die Welt in Gut und Böse einzuteilen oder eine vermeintlich verborgene Wahrheit entdeckt zu haben. Sie warnte davor, Verschwörungstheorien nur als Phänomen des Internets und der sozialen Medien zu verstehen. Wie schon Martin von Broock wies auch Nocun darauf hin, dass es am Arbeitsplatz zu Konflikten wegen Verschwörungserzählungen kommen könne. „Da besteht dann auch der Wunsch, dass sich der Arbeitgeber schützend vor Mitarbeitende stellt, gegen die sich zum Beispiel antisemitische oder rassistische Verschwörungsmythen richten“, sagte sie. Die Publizistin sprach sich zudem für eine stärkere Förderung der Medienkompetenz aus. Für Unternehmen gebe es viele zivilgesellschaftliche Initiativen, die sie dabei unterstützen könnten. Studien wiesen nach, dass Menschen, die aufgeklärt darüber seien, mit welchen Mechanismen Verschwörungserzählungen arbeiten, weniger anfällig für diese Mythen seien. Nocun warb dafür, mehr Menschen für diese Themen zu sensibilisieren. In Unternehmen sollten Seminare idealerweise in der Arbeitszeit und auf freiwilliger Basis stattfinden. Es müsse klar sein, dass niemand einen Nachteil habe, wenn er nicht teilnehme. Sie stellte klar: „Überzeugte Verschwörungsgläubige werden durch solche Angebote nicht mehr erreicht. Aber solche Angebote helfen dabei, ein Klima der Zivilcourage zu schaffen.“

Auch Barbara Costanzo, Vice President Group Social Engagement bei der Deutschen Telekom, sieht Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz für die Zukunft. „Die Telekom will die digitale Welt mitgestalten – nicht nur technisch“, betonte sie und stellte Aktivitäten der Telekom vor, um Medienkompetenz und digitale Zivilcourage zu stärken. „Dabei geht es um die Frage: Wie können wir Menschen befähigen und sensibilisieren, dass sie in bestimmten Situationen Haltung zeigen müssen?“, erklärte Costanzo. 2017 gab es etwa einen „Fake News Day“ für alle Mitarbeiter:innen mit verschiedenen Angeboten zum Erkennen von Falschnachrichten. 2020 startete das Unternehmen die große Kampagne #Dabei zur digitalen Teilhabe und gegen Hass im Netz. 2,1 Millionen Menschen haben Costanzo zufolge in diesem Zusammenhang an Maßnahmen der Telekom oder ihrer Partnerorganisationen teilgenommen. Viele der Telekom-Aktivitäten seien zwar nach außen gerichtet, hätten aber auch eine Wirkung nach innen – bei über 70.000 Mitarbeiter:innen allein in Deutschland sei auch das ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor, so Costanzo.

Stefan Haver, Head of Sustainability bei Evonik, legte dar, wieso es auch im ureigenen Interesse eines Chemiekonzerns ist, sich gegen Verschwörungstheorien und gesellschaftliche Polarisierung zu engagieren. „Wir müssen damit umgehen, dass wir als Verursacher gesellschaftlicher Ängste gesehen werden. Dem früh zu begegnen, ist extrem wichtig“, sagte er. Wichtig sei, als Unternehmen die eigene Interessenlage immer klar zu benennen. Als Konzern, der naturwissenschaftlich arbeite, habe Evonik einen besonderen gesellschaftlichen Auftrag, sich gegen wissenschaftsfeindliche und antimoderne Strömungen zu stellen. Das Unternehmen leite daraus weniger ab, sich ungefragt in Debatten einzuschalten, sondern eher, zunächst die eigenen Mitarbeiter:innen zu erreichen und rote Linien zu ziehen. Als Beispiel nannte Haver die vor drei Jahren gestartete Initiative „Mutausbruch“. Sie richtet sich an Auszubildende und beschäftigt sich mit Themen wie Rassismus, Antisemitismus und Umgang mit Hate Speech. In der Zusammenarbeit mit Schulen und Universitäten sprach sich Haver jedoch für Zurückhaltung aus. Evonik gehe von sich aus nicht auf diese Akteure zu. Auf Nachfrage von Moderator von Meyer, wie Evonik als Hauptsponsor von Borussia Dortmund mit rechtsextremen Tendenzen von Fans umgehe, erzählte Haver, dass das Unternehmen zusammen mit dem Verein Touren ins ehemalige Konzentrationslager Auschwitz organisiere – und sehr gespaltene Reaktion auf dieses Engagement bekomme.

Felix Duffy, Sprecher von Lobby Control, kritisierte, dass es bei einigen Unternehmen eine Kluft zwischen Außendarstellung und ihrem tatsächlichen Handeln gebe. „Wir begrüßen es, wenn Unternehmen Haltung zeigen“, sagte er. Freiwilliges Engagement dürfe aber nicht durch Lobbyaktivitäten konterkariert werden, die das Gegenteil bewirke. „Wir erleben es zum Beispiel seit Jahren, dass Unternehmen sich öffentlichkeitswirksam zu Umweltschutz bekennen, aber gleichzeitig massiv Lobbyarbeit gegen strengere gesetzliche Regeln für Klimaschutz machen“, erklärt er. Zugleich betonte Duffy, dass gerade kleinere und mittlere Unternehmen auf lokaler Ebene einen positiven Einfluss haben können, wenn sie sich klar gegen Rechtsextremismus positionieren.

Auf Nachfrage von Moderator Heino von Meyer, welche Möglichkeiten speziell kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung stehen, um Haltung zu zeigen, schaltete sich Martin von Broock noch einmal in die Diskussion ein und betonte die besondere Rolle der KMU. „Engagement braucht nicht immer die große Bühne, es fängt in den Vereinen und Kommunen als Orten der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung an. Dabei wird genau hingeschaut, wie der mittelständische Unternehmer sich positioniert. Viele kleinere Unternehmen beziehen hier schon klar Position“, sagte er.

In seinen Abschlussworten resümierte Thorsten Pinkepank die wesentlichen Punkte der Diskussion: Es sei nicht die Frage ob, sondern wie Unternehmen Haltung zeigen können. Über den internen Umgang mit Verschwörungstheorien seien sich die Diskutierenden einig gewesen, dass Seminare und Schulungen sinnvolle Maßnahmen seien. Schwieriger sei die Frage, wie es mit externem Engagement aussehe. Einen Konflikt habe er beim Thema Lobbying gesehen. Wichtig sei hier vor allem Transparenz und dass alle Interessengruppen einen gleichen Zugang zum politischen Diskurs und zum Gesetzgebungsprozess haben. Abschließend regte Pinkepank an, in Anlehnung an die Zehn Prinzipien des UN Global Compact auch Regeln für gutes Lobbying zu erstellen.

Die Aufzeichnung der Konferenz finden Sie hier. Für zukünftige Dialogformate und News aus dem DGCN und UN Global Compact abonnieren Sie unseren Newsletter.

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